Fahrgastbeschwerden gibt es, seitdem es den ÖPNV gibt. Manchmal erfährt man aus diesen Beschwerden Details zur Organisation, die sonst in den Akten nicht zu finden sind. Aus einer Beschwerde vom 05.05.1897 des Herrn Karl Werber, Major a.D. aus der Urachstraße 40 kann man ableiten, dass das Personal der Pferdebusse vermutlich am Umsatz beteiligt war, so wie es heute noch im Taxigewerbe üblich ist. Herr Werber schrieb an Herrn Dr. Winterer, den Oberbürgermeister:
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf einen Betrug hinzulenken, der in neuerer Zeit bei einem zwar nicht von der Stadt geleiteten, aber doch in sehr erheblichem Maße überhöhten Unternehmen eingerissen ist und dem ich vorige Woche selbst zum Opfer gefallen bin.
Ich ging von meiner Wohnung in die Waldseestraße und auf dieser nach der Sternwaldecke auf die Günterstalstraße, um nach Günterstal zu gehen. An der Einmündung der Waldseestraße in die Günterstalstraße angelangt, fuhr gerade der Tramwagen vorbei, so daß ich beschloß, in bis zur Restauration zum Schauinsland zu benutzen. Ich rief das Ziel dem Kutscher zu und bestieg den Wagen. Während der Fahrt reichte mir nun der Kutscher ein Billet zu 30 Pfg zur Bezahlung, ich gab ihm dasselbe zurück mit dem Bemerken, die Strecke von der Waldseestraße zur Restauration Schauinsland koste nur 20 Pfge. Darauf nahm er es wieder an sich und gab mir ein anderes zu 25 Pfge. Als ich auch dieses nicht annehmen wollte, sagte er, das sei der richtige Fahrpreis, den müsste ich bezahlen. Auf meine Einwendung, der Preis sei ja aufgedruckt, erwiderte er, das ginge ihn nichts an, er müsse das besser wissen. Ich bezahlte also 25 Pfge.
Der Kutscher des Herrn Jenne gehörenden Wagens heißt Jakob Schmidt, als Zeugen des ganzen Vorganges habe ich mir den Weinhändler Geismar, Rheinstr. 5 notiert.
Vorstehendes trug sich letzten Donnerstag den 29. April Nachmittag 2 1/4 Uhr zu. Sogleich am folgenden Tage setzte ich den nächsten Vorgesetzten des Kutschers, Herrn Jenne, von diesem Vorfalle in Kenntnis, bat ihn um Untersuchung der Sache und um gefällige Mitteilung darüber. Herr Jenne hat mir mit keiner Silbe darauf geantwortet, so dass ich Euer Hochwohlgeboren ergebenst bitte, in geeigneter Weise auf diesen Herrn einwirken zu wollen, damit dergleichen Manipulationen seitens seines Personals künftig unterbleiben.
Ich glaube, dass in dieser Weise der Unfug besser gesteuert wird, als wie sonst üblich durch Mitteilung an die Presse ihn an die große Glocke zu hängen.
Mit Ausdruck vorzüglichster Hochachtung
habe ich die Ehre zu sein
Euer Hochwohlgeboren ergebener
Werber Major a.D.“
Herr Stadtrat Walterspiel nahm daraufhin mit Herrn Unternehmer Jenne Rücksprache. Herr Jenne stellte den betreffenden Kutscher zur Rede. Der Kutscher gab an, er sei der Meinung, der Herr Major sei nicht erst an der Waldseestraße, sondern bereits an der Maximilianstraße zugestiegen und deshalb habe er 25 Pfennige verlangt. Herr Jenne wies Herrn Walterspiel außerdem darauf hin, dass der Kutscher Schmidt einer seiner solidesten Bediensteten sei. Herr Jenne selbst habe dem Herrn Werber nicht auf dessen Beschwerde geantwortet, da es ihm wegen allzu großem Geschäftsandrangs nicht möglich gewesen sei. Er versprach aber, dafür zu sorgen, dass eine derartige Klage nicht mehr vorkomme.
Der Stadtrat sandte den Bericht des Herrn Walterspiel über die Antwort des Herrn Jenne nun zur Ansicht an Herrn Werber. Dieser antwortete, daß die Antwort des Kutschers eine „absolute Unwahrheit“ sei. Weiter: „Wenn ich nach Günterstal gehe, sei es zu Fuß oder mit dem Tram, gehe ich – meine Wohnung liegt gegenüber dem Wiehre Bahnhof – stets, entweder durch die Turnseestraße (dieser südliche Teil der Turnseestraße heißt heute Fürstenbergstraße) oder auf dem Allmendwege beim Krems'schen Zementlager vorbei auf die Waldseestraße und bei der Sternwaldecke auf die Günterstalstraße, wodurch ich fast die ganze Strecke von der Lorettostraße bis zur Waldseestraße und wenn ich den Tram benutze, den entsprechenden Fahrpreis erspare. So war es auch, wie ich ausdrücklich betone, im vorliegenden Falle, der Kutscher hat auch meiner bezüglichen Angabe im Wagen durchaus nicht widersprochen, sondern behauptet der Fahrpreis betrage von der Waldseestraße aus 25 Pfge.“
Einer der beiden hat also nicht die Wahrheit gesagt. Der Kutscher hatte offensichtlich ein Interesse daran, einen möglichst teueren Fahrschein zu verkaufen.