Anders als im Freiburger Ortsteil Ebnet, der im Jahre 1974 freiwillig "Statt Liebesheirat eine Vernunftehe" (Badische Zeitung v. 09.07.2013) einging, war anderen ehemals selbständigen Gemeinden, wie Freiburg - St. Georgen, die vor 75 Jahren "zwangs-eingemeindet" wuden, nicht zum Feiern zumute. Aber auch im schwäbischen Schramberg-Sulgen kommt anlässlich des bevorstehenden Jahrestages (1. April 1934) keine Freude auf - war es doch letztendlich ein NS-Diktat, einhergehend mit massivem Wiederstand der Gemeinde.
Selbst ein "Ortschaftsrat" wurde ihnen verwehrt, wohingegen der Karlsruher Stadtteil Durlach, wie auch Ebnet oder Lehen, Dank diesem doch noch einige Rechte und Entscheidungsmöglichkeiten für sich beanspruchen kann:
Zitat
Mit der Installation des Ortschaftsrates hat Durlach zwar seine Selbständigkeit bei weitem nicht zurückgewonnen, aber immerhin eine gewählte Interessenvertretung, die - wie etwa in Fragen des Verkehrs oder des Ortsbildes - beschränkte kommunalpolitische Entscheidungsrechte hat und über Haushaltsmittel verfügt. Dem Ortschaftsrat obliegt es nun, gemeinsam mit der Stadtverwaltung und dem Karlsruher Gemeinderat, die Interessen Durlachs zu wahren und zu konstruktiven Ergebnissen zu führen - ein stetiger Prozess, der von vielen Durlacher Bürgerinnen und Bürgern vor dem Hintergrund der ihnen nicht wohlgesonnenen historischen Ereignisse besonders kritisch begleitet wird.
Quelle: "Online-Portal für Durlach, Aue und Bergwald" (Durlacher.de)
Über die St. Georgener "Zwangsehe" erschienen lediglich zwei Artikel - in der Badischen Zeitung, sowie im St. Georgener Bote:[/size]
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St. Georgen –
75 Jahre bei Freiburg
[size=125]Ein Jubiläum ohne Jubel
Mit diesen Worten überschrieb der St. Georgener Bote in seiner Ausgabe 2/78 die Stimmung im Jahr 1978, als sich die Eingemeindungsverfügung zum 40. Mal jährte. In einem sehr ausführlichen Beitrag rekapituliert der namentlich nicht genannte Chronist die Vorgänge um diesen diktatorischen Akt, beschreibt seine Auswirkungen auf das Befinden der St. Georgener und die Entwicklung, die der Ort in seiner Rolle als Teil der Stadt Freiburg genommen hat. Einen Eingemeindungsvertrag, von dem gelegentlich die Rede ist, hat es nie gegeben. Vielmehr eine Verfügung, unterzeichnet vom Reichsstatthalter von Baden, Robert Wagner:
„Auf den Vortrag des Ministers des Innern vom 2. Februar 1938 Nr. 8079 bestimme ich: Die Gemeinde St. Georgen wird auf Grund des §15 Abs.1 DGO. in die Stadt Freiburg i. Br. eingegliedert. Die gegenseitigen Gemarkungsgrenzen werden aufgehoben. …“
In der 15 Punkte umfassenden Verfügung werden die Anordnungen für die Abwicklung getroffen. Die Bürger von St. Georgen erfuhren davon am 5. März in der Tageszeitung „Der Alemanne“. Die Verordnung trat zum 1. April 1838 in Kraft.
Die Gemeinde St. Georgen brachte 1620ha Fläche mit ein und etwa 3000 Einwohner. Sie war schuldenfrei und verfügte über ein Barvermögen von 100 000 Reichsmark. In der wirtschaftlich schwierigen Zeit nach dem 1. Weltkrieg hatte die Gemeinde unter ihrem modernen und weitsichtigen Bürgermeister Adolf Keller große Leistungen erbracht: sie baute eine Schule (Schönbergschule) mit Turn- und Festhalle sowie einem Volksbad im Keller des Schulgebäudes. (Für die Jüngeren: ein Volksbad stellte Duschen und Wannenbäder zur Verfügung, da die meisten Häuser über kein Bad verfügten.) Es folgte ein Freibad, ein gemeindeeigenes Wohnhaus und die Modernisierung der Wasserversorgung. Es war eine stattliche Mitgift, die St. Georgen in diese „Zwangsehe“ mitbrachte. Die Stadt Freiburg wuchs dadurch auf rund 8000 ha an und zählte 109 500 Einwohner. In ihrem Jahresbericht 1938 schreibt die Stadtverwaltung über die Eingemeindung:
„… Mit dieser Eingemeindung ist die Grundlage für die organische Entwicklung der Stadt nach Südwesten geschaffen worden, und es ist auch die Gewähr gegeben, daß der jüngste Vorort durch die planvolle Lenkung einer zielbewußten Stadtverwaltung in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht emporblühen wird und daß insbesondere der ländliche Charakter des alten Gemeinwesens in seiner heutigen Gestalt voll und ganz erhalten bleibt; denn die Stadt Freiburg ist stolz darauf, eine urwüchsige Bauernbevölkerung an den Grenzen des Stadtgebiets zu haben.“
Zu diesem Zeitpunkt war St. Georgen schon lange kein reines Bauerndorf mehr. Mit den Firmen Spohn und Knoll sowie den beiden Raimann-Betrieben, um nur die größten zu nennen, gab es schon eine beträchtliche Gewerbeansiedlung. Im Jahr 1938 beschäftigte Raimann 400 Mitarbeiter. Die Firma hatte sich 1904 in St.Georgen angesiedelt, weil sie in Freiburg keine Expansionsmöglichkeit hatte. Die Stadt Freiburg hatte damals nach Westen keine Entwicklungsmöglichkeiten und sie hatte
immer wieder versucht, die „groß Gmei“ vor ihren Toren zu umgarnen. Aber die St. Georgener wollten nicht, sie wollten selbständig bleiben.
Geschickt haben die Verantwortlichen der Stadt dann die Lage ausgenutzt, als auf den St. Georgener Allmendwiesen (heute Vauban) eine Kaserne gebaut werden sollte. Das könne eine dörfliche Gemeinde niemals stemmen. Damit stießen sie an höherer Stelle auf offene Ohren, denn vermutlich wollte man auch in Karlsruhe lieber eine Garnisonsstadt als ein Garnisonsdorf. Der Protest des St. Georgener Bürgermeisters Hermann Heer und der Gemeinderäte blieb ohne Erfolg. Interessant ist natürlich die Bilanz, die der Chronist 1978 nach 40 Jahren Eingemeindung zieht: die Bevölkerung ist auf ca. 10 000 Einwohner angewachsen, viele hundert ha Fläche wurden für Wohnungsbau und Gewerbegebiete verbraucht, weitere große Flächen für Straßen und Wege kamen dazu. Der bitterste Posten in der Bilanz: das von den St. Georgenern immer wieder geforderte Ortszentrum wurde nie verwirklicht. In einer Zeit, als die Fläche dazu noch unbebaut war (Hartkirchweg/ Cardinalweg) und die Planungen dafür nicht sehr schwierig gewesen wären, wurde mit den gar nicht ins Ortsbild passenden „Hochhäusern“ eine unwiederbringliche Chance vertan. „Die planvolle Lenkung einer zielbewussten Stadtverwaltung“ wurde nicht nur hier schmerzvoll vermisst. Um viele Selbstverständlichkeiten haben die Bürger lange kämpfen müssen: z. B. erhielten die Bewohner der Basler Landstraße erst 1976 einen Anschluss an die öffentliche Kanalisation, der Bau der Einsegnungshalle wurde genau wie ein Jugendtreff immer wieder verschoben. Die Pläne für ein Hallenbad, Schulsportplätze, Realschule u.a. sind in den tiefen Schubladen der Amtsstuben verschwunden. Soweit der Chronist im Jahr 1978.
Welche Bilanz können wir heute ziehen?
Der Stadtteil ist weiter gewachsen, es wurde viel gebaut. Sogar der völlig neue Stadtteil Vauban ist auf alter St. Georgener Gemarkung entstanden. Was den eigentlichen Stadtteil betrifft, wird „die planvolle Lenkung einer zielbewußten Stadtverwaltung“ immer noch häufig vermisst, weshalb die Nachkommen der „urwüchsigen Bauernbevölkerung“ immer wieder aufmucken und Forderungen stellen. Es fehlt immer noch ein Ortszentrum, es fehlt eine weitsichtige, innovative Entwicklung in der Blumenstraße und an vielen anderen Orten. Ohne jahrelangen Kampf der Bevölkerung gäbe es kein Freibad mehr und eine Festhalle in traurigem Zustand. Ohne die Wachsamkeit der Bürger wäre das ehemalige Rathaus samt dem gesamten Stubenareal vermutlich schon an einen Investor verkauft und auch dieser letzte traditionsreiche Flecken der ursprünglichen Gemeinde verschwunden. Hier gibt es nun auf Grund des Bürgerengagements beim STELLProzess eine Chance, dem Stadtteil und seinen Bewohnern ein Zentrum für Kommunikation, Kultur und Vereine zu ermöglichen.
Es gibt auf der einen Seite das ehrliche Bemühen von Seiten der Stadtverwaltung, die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubeziehen wie im STELL-Prozess. Nur wenige Monate später mussten die Bürger in der Diskussion um neue Stadtteile vernehmen, dass ein neuer Stadtteil St. Georgen-West nichts mit St. Georgen zu tun habe, da es jetzt um gesamtstädtische Belange gehe. Die Verwirklichung des neuen Stadtteils auf den letzten landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen Schönberg und Mooswald wäre ein Schlag ins Gesicht der St. Georgener, denn nicht nur der letzte Rest des „ländlichen Charakters“ würde hier geopfert werden, sondern auch die Existenzen der verbliebenen Landwirte.
Wie steht es mit der „kulturellen Blüte?“ Viele engagierte Bürger in den Vereinen und Kirchengemeinden sorgen für ein reichhaltiges kulturelles Leben im Stadtteil. Wer mehr oder anderes will, muss „in die Stadt“ fahren. Mit dem Bus, denn leider fehlt auch immer noch eine direkte Straßenbahnlinie.
Die bedeutendste Erkenntnis ist aber wohl diese, dass bei den St. Georgenern bis heute ein Gefühl geblieben ist, dass das Geben und Nehmen zwischen St. Georgen und Stadt bis heute sehr ungleich verteilt ist. Es wäre zu wünschen, dass die zukünftige Stadtentwicklung den St. Georgener Belangen endlich die gebührende Beachtung schenkt.
Der 75. Jahrestag der Eingemeindung ist leider immer noch ein Jubiläum ohne Jubel.
Kie
Quelle: St. Georgener Bote, Heft 4/2013 v. 19.04.2013
Siehe zum Thema auch:
"75 Jahre (Zwangs-) Eingemeindung" im "Schrambergforum"